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Erwin Uhrmann im Interview über seinen neuen Roman Toko

Das Gespräch führte Merle Rüdisser

Erwin Uhrmann und der Limbus Verlag haben eine inzwischen lange gemeinsame Vergangenheit. Es begann mit Der lange Nachkrieg (2010); der Roman handelt von den materiellen und immateriellen Langzeitfolgen des Jugoslawienkrieges, aber dahinter und zusätzlich von einem jungen Mann, der in seiner eigenen Vergangenheit herumgräbt und buchstäblich die Toten nicht ruhen lassen kann; Glauber Rocha (2011) beschäftigt sich mit dem gleichnamigen brasilianischen Regisseur, aber eigentlich geht es um einen surrealen Aufenthalt in Lissabon und Sintra; in Ich bin die Zukunft (2014) lebt ein Mann über Jahre hoch in den Alpen, während ringsherum die Zivilisation untergeht und sich die Apokalypse nähert. Nach diesen Prosa-Werken kam 2016 der Gedichtband Abglanz Rakete Nebel, der wieder um die Themen Vergänglichkeit, Ewigkeit, Erinnerung kreist.
Und nun, im Frühjahr 2019, folgt der Roman Toko, der teils in einem Dinosaurier-Park spielt, mit einem Protagonisten, der sich mit Weltuntergangsszenarien und dem Küstenschwund in England befasst.

Lieber Erwin, haben die Themen Vergänglichkeit auch des Ewig-Scheinenden und Zeit im Allgemeinen – samt ihrer Relativität – es dir angetan?

Zeit ist tatsächlich ein Thema, das sich durch alle meine Texte zieht. Die Dinosaurier haben mir als Metapher gefallen. Sie haben mehr als 150 Millionen Jahre auf einer Erde gelebt, die damals noch ganz anders ausgesehen hat. Im Vergleich dazu: Die ältesten Spuren von uns Menschen sind gerade einmal ein paar hunderttausend Jahre alt. Wenn man in größeren Kategorien denkt, dann sind wir Menschen auch nur eine Episode auf diesem Planeten. Im Buch wird einmal Horaz zitiert; in den Oden schreibt er davon, dass ihm seine Verse, die den eigenen Tod überdauern, letztlich Unsterblichkeit bringen. Mich hat diese Stelle seit meiner Schulzeit beeindruckt. Aber relativiert sich nicht alles, wenn man einmal über die eigenen paar Befindlichkeiten hinausdenkt?

Deine Protagonisten sind zwar immer Männer, vermutlich auch in deinem jeweiligen Alter, aber autobiografisch scheint das allermeiste Geschehen nicht zu sein. Wie ist die Beziehung zwischen dir und deinen Protagonisten? Könntest du dir auch vorstellen, einmal aus Sicht einer Frau zu schreiben?

Es gibt wahrscheinlich in vielen meiner Figuren autobiografische Anteile, egal ob Frau oder Mann. Seit zwei Jahren arbeite ich an einem Roman, in dem die Hauptfiguren zwei Halbschwestern sind, eine ist sechzehn, die andere fünfundzwanzig. Bei Toko ist es so, dass mir Erich, der im Buch nach Irrlitz reist, genauso nahe ist wie Daniela, die dort den Saurierpark betreibt. Das englische Bath habe ich zwei Mal schon besucht. Ich hatte das Glück, dort auf der Universität aus meinem letzten Roman lesen zu dürfen und mich mit klugen Menschen über Dystopien austauschen zu können. Einige meiner Figuren – wie Axel – sind aus diesen Erlebnissen entstanden. Toko selbst ist ein geheimnisvoller Charakter im Hintergrund.

Einen Ort namens Irrlitz gibt es ja nicht – aber was für ein sprechender Name! –, und die Geschichte spielt zum Jahreswechsel. Es wirkt, als hätte es dir großen Spaß gemacht, die Geschichte zu konstruieren und mit solchen Hinweisen, Symbolen, Zeichen zu befüllen.

Es geht um Wendepunkte im Leben meiner zwei Hauptfiguren Erich und Daniela. Der Jahreswechsel ist dafür ein guter symbolischer Zeitpunkt. Die Konstruktion des Organisierens und Denkens in Kalenderjahren ist eine sehr menschliche Angelegenheit, sie beginnt bei guten Vorsätzen und zieht sich hin bis zu Steuererklärungen – alles hat diesen Rahmen. Ich persönlich finde Silvester unerträglich. Ein komisches Fest, das immer eine gewisse Leere
und unerfüllbare Erwartungen hinterlässt. Irrlitz ist genau der richtige Ort dafür. Es klingt wie: Irrlicht. Das sind diese spukhaften Lichterscheinungen, die Menschen immer wieder einmal in Moorlandschaften gesehen haben wollen. Lichter, die es eigentlich nicht gibt. Man irrt als Mensch eben oft auf gefährlichem Terrain. Apropos: Erich, der Weltuntergangsforscher, reist dem Brexit entgegen …

Dein Protagonist Erich will eigentlich nur ein paar Tage in diesem Haus in Irrlitz verbringen, aber dann stellt ihn schon allein die Tatsache, dass es Ende Dezember ist und er die Heizung nicht in Gang bringt, vor ziemliche Schwierigkeiten. In deinen Büchern ist die Grenze zwischen komfortablem Alltag und Existenzbedrohung sehr durchlässig – was steckt für dich dahinter?

Meine Protagonisten müssen damit fertigwerden, dass im nächsten Moment alles anders ist. Erich freut sich auf sein Leben im englischen Bath. Daniela lebt abgeschottet in einem selbst geschaffenen Provisorium. Plötzlich beginnen diese Pläne und Lebensentwürfe zu bröckeln, und schuld ist eine kaputte Heizung. Es gibt eben keine Komfortzone. Ich sehe darin das größte Problem unserer Zeit: Ein Teil der Menschheit beansprucht eine riesengroße Komfortzone für sich und lebt in ständiger Angst, etwas abgeben zu müssen. Daraus entwickeln sich dann völlig ungerechtfertigte territoriale Besitzansprüche und Grausamkeit, und man jagt tatsächlich Irrlichtern hinterher.