Ralf Schlatter im Gespräch über seinen Roman Des Reimes willen Henk
»Reimen macht übrigens glücklich!« – Merle Rüdisser im Gespräch mit Ralf Schlatter über seinen literarischen Werdegang und seine Vorbilder
Lieber Ralf, wir haben jetzt schon einige Bücher miteinander gemacht, aber etwas wie das hier noch nie. Wie um alles in der Welt bist du auf die Idee gekommen, einen Roman in Reimen zu schreiben?
Wenn ich das wüsste! Ich kann versuchen, es zu rekonstruieren: Nach dem eher schweren Stoff meines Buches Muttertag, der mich – auch als persönlicher, privater Prozess – die letzten drei, vier Jahre begleitet hat, wollte ich unbedingt etwas ins Leben rufen, das leicht ist und Freude macht. Und ich hatte irgendwie keine Lust auf Prosa, ich fühlte mich darin ein wenig leer und verloren. Woher dann genau die Idee zum Roman in Reimen kam, weiß ich zum Glück nicht mehr. Ich mochte jedenfalls die strikte formale Vorgabe, das gab mir Halt. Es war wie ein Spielfeld mit Linien außenrum. Das war sehr entspannend für mich, diese Linien zu haben, um mich innerhalb des Feldes dann völlig frei und ungezwungen zu bewegen. Und ich habe schon immer fürs Leben gern gereimt, von Kind auf, später als einer der ersten Schweizer Slam-Poeten. Reimen macht übrigens glücklich: Wenn das Hirn ein Wort liest oder hört und dann eines, das sich reimt, empfindet es ein Harmoniegefühl und schüttet Glückshormone aus. Ich müsste vielleicht mal bei den Krankenkassen anklopfen, ob ich Geld für das Buch erhalte. Aber ich schätze, da hat die Schweizer Pharma-Lobby was dagegen …
Gibt es Literatur, auf die du dich beziehst? Die Literaturgeschichte bietet, auch wenn es heutzutage exotisch wirkt, doch einen reichen Fundus an Prosa in Versform, gereimt und ungereimt – man denke an das Nibelungenlied, an barocke Literatur, an Heine, Goethe und so weiter. Hast du als Inspiration etwas Bestimmtes gelesen?
Unbewusst inspiriert haben mich natürlich Reim- und Wortspieler wie Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Robert Gernhardt, aber genauso regen mich auch Songtexte von »Tocotronic« oder »Element of Crime« an, alte Nummern von Otto oder ein verunglückter Werbereim auf einem Lastwagen, der vorüberfährt. Was das Spiel mit der Sprache angeht, bin ich sehr frei. Und genauso frei und kindlich-verspielt bin ich an den Text herangegangen, wollte mich gar nicht vorher zu sehr mit den alten Schwergewichten beladen. Als ich schon fast fertig war und mich ein Freund auf Dantes »Divina Commedia« aufmerksam machte, staunte ich aber nicht schlecht: Mein Held geht genau wie seiner auf der Suche nach Läuterung durch den Wald, und seine große Liebe ist Beatrice, bei Henk ist es Trix. Fast schon ein wenig unheimlich. Aber logisch: Es war alles schon einmal da, es ändert nur die Farbe, das Gesicht und den Tonfall.
Hast du dir den Roman selbst laut vorgelesen?
Nein, und ich muss gestehen, dass ich jeweils nicht mal las, was ich geschrieben hatte, wenn ich mich wieder daransetzte – als hätte ich Angst gehabt vor dem Zurückschauen. Ich bin einfach von dem Punkt aus weitergegangen, zusammen mit Henk, sehr intuitiv, Wort für Wort, Zeile um Zeile vorwärts. Das fertige Manuskript wollte ich dann meiner Frau vorlesen und dachte, das gehe locker an zwei Abenden. Aber nach drei Seiten waren wir beide völlig hinüber, ich vom Lesen, sie vom Zuhören. Ich merkte erst dann, wie unglaublich dicht und vielschichtig ich dieses Band gewoben hatte, das war mir beim Schreiben gar nicht bewusst.
Was mir beim Lesen große Freude bereitet hat, war die Selbstironie des Erzählers. Denn erstens nimmt er die auferlegte Form nicht allzu streng und sieht etwa das Metrum eher als haltgebendes Geländer denn als Käfig – oder als Linien auf dem Spielfeld –, zweitens darf man bei den Schwierigkeiten mitlachen, wenn fast zwingende, aber unschickliche Reime umgangen werden, drittens nimmt sich der Erzähler die Freiheit, die Geschichte in jede Richtung zu lenken, die er will, da kann der innere Zensor gern Purzelbäume schlagen … und so weiter – du siehst, ich hatte Spaß. Gehe ich recht in der Annahme, dass du beim Schreiben auch viel Spaß hattest?
Nun ja, ich habe unterschätzt, wie anstrengend das alles ist fürs Hirn. Nach zwei, drei Stunden am Stück ging nichts mehr. Es kam ja auf jedes einzelne Wort an, mit Betonung, Rhythmus, Reim – und notabene Inhalt. Das war geistig-kreativ extrem ermüdend. Ich hatte rechts auf dem Computer-Bildschirm immer ein Reim-Lexikon offen, da hab ich, wenn mir nichts einfiel, die Endung eingegeben, worauf es dann hieß: »Folgende 763 Begriffe reimen sich auf -ieren.« Von wegen Reimen macht glücklich! Aber klar, manchmal musste ich schon sehr grinsen auf den Stockzähnen, wenn sich eine coole Wendung ergab. Das war das Schöne an dieser Arbeit und auch genau das, was ich wollte: dass mich die vorgegebene Form immer wieder überraschte, verführte, mit mir spielte und ein Stück weit sogar die Geschichte lenkte.
Es gibt inhaltliche Elemente, die dich als Schriftsteller seit Jahren beschäftigen: das sprachlose, unglückliche Elternhaus, das Kind, das mit diesem minderwertigen Werkzeug ausgestattet trotzdem versucht, glücklich zu werden, die Liebe, das Leben in der Schweiz, natürlich die Ornithologie. Im Endeffekt hatte ich den Eindruck, Henk ist die fast zwingende Weiterentwicklung deines Schaffens. Wie siehst du das im Zusammenhang?
Stimmt, da hast du recht, und ich staune quasi über mich selbst und dass diese Stoffe und Motive immer wieder erscheinen, so etwas plane ich ja nicht. Offenbar ist das so etwas wie mein »Lebensthema«. In meinen ersten Romanen waren es die Hauptfiguren, die zu Fuß oder im Geist in eine Welt der Fantasie aufbrachen, um der Enge, Schwere und Sprachlosigkeit zu entkommen. Die Reise wurde dann immer konkreter und persönlicher und endete mit Muttertag, mit der sechzehnstündigen Wanderung der Hauptfigur zu seiner sterbenden Mutter. Ich hatte mich damit schreibend befreit. Aus dieser Unbeschwertheit entstand Des Reimes willen Henk, wo ich als Autor bzw. Erzählfigur den Helden an die Hand nehme und ihn begleite, quasi aus freien Stücken. Die Fantasiewelt kommt über die Form und die Wortspiele dazu. Die schweren Grundthemen bleiben offenbar die gleichen, die innere Herangehensweise hat sich einfach verändert. Das ist, denke ich, die Weiterentwicklung. Ich bin gespannt, wo es als Nächstes hinführt.
Ein weiteres Thema, eine Art Grundstimmung bei dir, auch als Kabarettist im Duo »schön&gut«, ist ja die Tragikomik, das Verbinden von Schwere mit Leichtigkeit und Humor. Wie kommt das zustande?
Das eine gibt es gar nicht ohne das andere. Ich spüre das oft, wenn ich als Zuschauer ins Theater gehe: Jemand, der auf der Bühne lustig sein möchte, berührt mich nur, wenn ich auch seine Traurigkeit und seine Abgründe spüre. Das bedingt sich gegenseitig. Es ist die klassische Figur des Clowns, dem die Leute beim Scheitern zuschauen. Gute Clowns sind immer tragische Figuren; mir zieht es jedesmal das Herz zusammen, wenn ich einen sehe. Auch Henk ist ja im Grunde eine traurige, einsame Figur und stolpert aber in diesem heiter klimpernden Sprachrhythmus durch die Welt und sein Leben. Dieser Kontrast hat mich gereizt. Und siehe da: Ohne dass ich das plante, stolpert er irgendwann mit einer roten Nase in eine Zirkusmanege hinein – sehr zum Gaudium des Publikums.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!